Armin Wildner: Formfindungen
„Ich suche nicht, ich finde“ - so sagte Picasso, und für ihn als künstlerische Ausnahmeerscheinung mag das Gesagte gegolten haben. Üblicherweise jedoch folgt das Finden dem Prozess des Suchens, und beide Berufungen werden von bestimmten Prämissen begleitet. Dem Suchen wohnt die zumindest nebulöse, in einigen Fällen auch streng spezifische Vorstellung dessen inne, was gefunden werden kann oder soll, und das eigentliche Finden ist unter Umständen in Teilen dem Zufall geschuldet und nicht unbedingt in dem Maße steuerbar, wie es der Findende gerne hätte.
Dieser hohe Anteil an nur bedingt beeinflussbaren Elementen verleiht dem in den letzten zwei Jahren entstandenen Werkzyklus „Formfindungen“ des Bildhauers Armin Wildner einen besonderen Reiz, denn der Schaffensprozess dieser Plastiken ist zu Beginn diversen Unwägbarkeiten geschuldet, die der Künstler zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügt.
Seine Arbeiten bestehen aus Fundstücken. Objekte, die bereits ein Arbeitsleben hinter sich haben, dessen Spuren deutlich erkennbar sind, die in ihrer ursprünglichen Form weitgehend den eigentlichen Nutzen verloren haben und für sich stehend über eine nur rudimentäre Ästhetik verfügen. Armin Wildner hat seinen Blick auf Werkzeuge und Gegenstände vergangener Zeiten geeicht, die häufig noch von Handwerkern in Handarbeit hergestellt wurden, und die aufgrund der sich stetig ändernden Bedürfnisse der Zivilisation heutzutage nicht mehr in dieser Form benötigt werden, wie zum Beispiel ein Ochsenjoch (S. 10), welches nur noch, wenn überhaupt, in der Folklore in Benutzung ist. Auch kommen handgeschmiedete Nägel zum Einsatz, jeder von ihnen ein Unikat (S. 25). Ein besonders reizvolles Fundstück findet sich in der Plastik „Papamobil“ (S. 21): es handelt sich um eine Spardose, die noch über Reste der ursprünglichen Farbfassung verfügt.
Diese Fundstücke werden in der Tradition des Objet trouvé zu neuen Plastiken zusammengefügt – und hier findet eine zweite Phase des Findens statt, das titelgebende Formfinden. Verschiedene Objekte werden zu einem neuen zusammengefügt, Materialien wie Holz, Eisen aufeinander abgestimmt und mit Hilfe von zum Teil subtilen Modifikationen in eine ästhetisch ansprechende, die Proportionen harmonisierende Form gebracht. Ein vom Künstler geschickt forciertes Überwinden der Eigenarten des Materials führt zu Plastiken, die die Herkunft ihrer einzelnen Komponenten nicht verleugnen, sich aber gleichzeitig zu einer neuartigen Struktur zusammenfügen. Jedes dieser Objekte wird durch die durchdachte Kombination mit einer weiteren Ebene des Narrativen versehen, was manchmal den Niederschlag im Titel findet: im Objekt „Lyra“ (S. 8) verwandelt sich der handgeschmiedete Flachskamm zu den Saiten des Instrumentes, in der Arbeit „Pinocchio“ (S. 19) erscheint ein überlanges Kantholz als Nase einer Figur und erinnert an einen der prominentesten Lügner der Literaturgeschichte. Sämtliche Objekte Armin Wildners geben reichlich Raum zur assoziativen Betrachtung, und dieses Spiel mit den Mehrdeutigkeiten ist vom Künstler gewollt. Oft wecken die Zusammenstellungen der ehemaligen Gebrauchsgegenstände Erinnerungen an Wesen der Fauna; das aus einer Handsäge und dem Teil eines Eingangstores entstandene „Seepferdchen“ (S. 14) zählt ebenso dazu wie die Plastik „ohne Titel“ (S. 28), bei der man eine Schnecke erahnen kann.
Zahlreiche Arbeiten dieser Werkgruppe erinnern in der Reduktion ihrer Darstellung an archaische, anthropomorphe Götzendarstellungen, so zum Beispiel „ohne Titel“ (S. 16), (S. 18), (S. 26).
Geschickt verbindet der Bildhauer die spröden Materialien und statischen Ursprungsobjekte zu Plastiken, die über eine eigene, hohe Form von Dynamik verfügen. In der einem Vogel ähnelnden Arbeit „ohne Titel“ (S. 10) verharrt das Ochsenjoch auf dem Rad eines Seilzuges derart in einem Ungleichgewicht, dass es der Schwerkraft zu widersprechen scheint, und auch das schwankende „Schiffswrack“ (S. 29) balanciert auf einem minimalen Punkt weitab physikalischer Gesetze.
Eine Besonderheit innerhalb dieser Werkgruppe stellt das Objekt „Kühlerfigur“ (S. 12) dar, das als kinetische Plastik konzipiert ist: auf einem Teil eines alten Holzrades befindet sich, sorgfältig austariert, ein Teil einer beweglichen Schmiedezange.
In den Objektbildern (Katalog S. 32-43) geht Armin Wildner ähnlich wie in den bildhauerischen Werken vor, jedoch wird die Betonung auf die Fläche gelegt. Als Grundlage dient bei diesen reliefartigen Arbeiten häufig eine vom Künstler selbst erstellte Keramikplatte, die als Träger der diversen Fundstücke dient. Statt einer räumlichen Dynamik dominiert die zweidimensionale Komposition, das ästhetische Potential einzelner Objekte wird stärker in den Fokus gerückt. Die Baumscheibe im Querschnitt in der Arbeit „ohne Titel“ (S. 36) bleibt als solche bestehen, doch durch die Präsentation wird der Betrachter auf die reizvollen Strukturen besonders aufmerksam gemacht.
In der Arbeit „ohne Titel“ (S. 38) werden die verwendeten Objekte zu einer reduzierten Komposition mit grafisch anmutendem Minimalismus.
In der Arbeit „ohne Titel“ (S. 40) benutzt der Künstler einen Druckstock aus dem eigenen Œuvre, der durch seine skulpturale Qualität zum strukturverleihenden Element dieses Objektbildes geworden ist.
Mit traumwandlerischer Sicherheit bewegt sich Armin Wildner zwischen Objektbild und Plastik. Der Künstler erschafft einen stringenten Werkzyklus von Arbeiten, die trotz der Diversität der verwendeten Objekte über eine individuelle und durchgehende Handschrift des Künstlers verfügen und das scheinbar Unvereinbare zu einem harmonischen Ganzen zusammenfügen.
Dirk Meyer, Kunstvermittler in Oldenburg